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Stimmungstiefs, Unsicherheit oder Heimweh

Ein Interview mit Dipl. Psychologin Nathalie Tchouandong

  • Text: Pauline Rackebrandt
Illustration, drei Pillendosen

Der Umzug für das Studium in eine neue Stadt kann wirklich aufregend sein: Die zunächst noch unbekannten Kommiliton:innen, erste neue Freundschaften und ein anderer Ort, den es zu erkunden gilt.
Doch Corona veränderte diese Aufbruchszeit: Die Realität war oft ein einsames Wohnheimzimmer, ohne Freund:innen, ohne Familie, ohne Job.

Frustration und Stimmungstiefs tauchten genauso häufig auf wie die unmotivierten Gesichter der Mitstudent:innen auf dem Bildschirm. Und bei manch einem wollte das Stimmungstief nicht mehr bloß ein Stimmungstief bleiben, sondern wurde eine ernst zu nehmende Depression. Doch woran erkennt man den Unterschied? Und was ist dann zu tun?

Diese und weitere Fragen stellte die Studentin Pauline Rackebrandt Diplom Psychologin Nathalie Tchouandong. Frau Tchouandong ist seit September 2019 psychologische Studienberaterin für den Fachbereich Gestaltung.

Wieso haben Sie sich dafür entschieden Psychologie zu studieren?

»Mich interessiert das menschliche Verhalten. Ich möchte verstehen, warum Sachen passieren, warum Menschen so sind, wie sie sind, und das möchte ich, erklären können. Und ich denke, Neugierde ist es auch, also Neugierde quasi in den Menschen hineinzuschauen.«

Können Sie mir etwas über Ihren Werdegang erzählen?

»Psychologie habe ich an der Uni in Mainz bis 2014 studiert. Danach habe ich eine Zusatzausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin angefangen und im Rahmen dieser Ausbildung viel Berufserfahrung gesammelt. Meine erste Stelle habe ich an einer forensischen Klinik gehabt, in der ich ein Jahr lang (Psychiatriejahr) in der Suchttherapeutischen Abteilung arbeitete. Anschließend arbeitete ich drei Jahre in einer Schmerztherapeutischen Abteilung. Im Jahr 2019 gründete ich meine Praxis.«

Wie sind Sie zur Hochschule gekommen und warum arbeiten Sie dort?

»Im Studium soll man sich seine Schwerpunkte aussuchen. Ich habe mir zwei Schwerpunkte ausgesucht: einmal die klinische Psychologie und einmal Arbeits- und Organisationspsychologie. Nur in dem klinischen Bereich zu arbeiten, war für mich sehr einseitig. Um ein Gleichgewicht herzustellen, reduzierte ich meine Arbeitszeit im klinischen Setting und konnte so in der Präventions- und Beratungsarbeit tätig werden. Dort kommt man auch mal in Kontakt mit Menschen, die in den meisten Fällen noch nicht erkrankt sind. Und genau so kam ich an die Hochschule.«

Wie viele Studierende sind bei Ihnen circa pro Woche in der Beratung?

»Im Moment habe ich zwei bis vier Student:innen pro Woche. Unter Umständen können es auch sieben bis acht Student:innen pro Woche sein.«

Mit welchen Themen kommen die Student:innen zu Ihnen?

»Die Student:innen dürfen mit allen Thematiken zu mir kommen. Es geht vom Aufschieben über Liebeskummer bis hin zu Problemen in der WG. Es ist wirklich alles, was einen belasten kann.«

Mit welchen Problemen werden Sie am meisten kontaktiert?

»Es gibt zwei Hauptthemen, mit denen ich öfter konfrontiert werde. Einmal ist es die Selbstunsicherheit, hier kommen Themen auf wie Identitätsfragen, Abgrenzungsthematiken und Selbstwertfragen: Schaffe ich das überhaupt? Ist das überhaupt das richtige Studium? Und was, wenn ich nicht studiere? Der Leistungsdruck, der Stress im Studium und die Leistungsgesellschaft sind das zweite Hauptthema. Wobei beide Themen in gewisser Hinsicht zusammenhängen«

Verschiedene Vitamine für verschiedene Menschen

Wie wirkt sich die pandemische Lage auf die Student:innen aus?

»Durch die Pandemie kommen auch viele Student:innen zu mir, die aufgrund der Corona Maßnahmen mental fragiler geworden sind. Vor allem Student:innen, die für das Studium hergezogen sind, trifft es härter. Wenn man von Zuhause weg gezogen ist, dann bekommt man schon mal ein klein wenig Heimweh. Aber mit Heimweh kann man umgehen, indem man Kommiliton:innen trifft, einen Job hat, einfach volle Tage hat und beschäftigt ist. Durch Beschränkungsmaßnahmen sieht das Ganze jedoch anders aus: Freund:innen zu treffen war nur schwer möglich und die Familie war auch nicht da. In dieser Hinsicht hat die Corona Pandemie und die daraus resultierenden Maßnahmen den einen oder die andere etwas fragiler gemacht und schwerer getroffen. Die Thematiken sind aber nicht unbedingt anders geworden.«

Haben sie Tipps gegen Stimmungstiefs und Motivationslosigkeit in der Pandemie?

»Das Gute an der Psychologie ist, dass es keine allgemeinen Tipps gibt. Wir sind alle ganz unterschiedlich und haben unterschiedliche Ressourcen. Es ist genauso wie mit Vitaminen. Wir haben nicht alle die selben Mängel. Dem einen mangelt es an Vitamin A und der nächsten mangelt es an Vitamin B. Schon mal vorab wichtig zu wissen ist also, dass man nicht alle über einen Kamm scheren kann.
Wenn man weniger motiviert oder mit der Stimmung unten ist, kann es darauf hindeuten, dass man sich überstrapaziert hat. Der Körper zieht uns die Energie, um uns erholen zu können und dient als Schutzmechanismus. Wenn wir uns zu sehr strapaziert haben, zieht der Körper eine Art Notbremse. Je stärker diese ist, umso problematischer kann es werden, da man auch zu einer Depression umschwenken kann. Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit und gedrückte Stimmung sind dann die Symptome. Aber meistens, wenn wir uns danach fühlen, hat das entweder damit zu tun, dass man sich überstrapaziert hat und Ruhe braucht oder dass wir in unserem Hormonhaushalt im Ungleichgewicht sind. Schuld daran kann auch eine Schilddrüsenerkrankung sein. Gegen ein Ungleichgewicht helfen schon ganz einfache Dinge, wie spazieren gehen, auf die Ernährung und den Schlaf achten oder Sonne tanken. Sollen diese kleinen Tipps nicht helfen, ist ein Besuch beim Arzt oder der psychologischen Beratung empfehlenswert.«

Wie läuft eine psychologische Beratung bei Ihnen ab?

»Die Student:innen kontaktieren mich entweder per Email oder telefonisch. Bei einem Erstgespräch klären wir, worum es geht. Es gibt keine festgelegte Anzahl an Sitzungen, die man haben muss. Die Beratung steht einem zur Verfügung, solange sie gebraucht wird. Durchschnittlich lösen sich unheimlich viele Themen nach der ersten Stunde. Es gibt aber auch einige Themen, die circa zwei bis drei Sitzungen bedürfen. Ich hatte aber auch eine Studentin, die fünf oder sechs Stunden in Anspruch genommen hat. Wichtig dabei zu vermerken ist, dass die Beratung keine Therapie ist. Das heißt ich biete keine Psychotherapie im Rahmen der psychologischen Studienberatung an. Wenn ein:e Student:in kommt und er oder sie Therapiebedarf hat, kann ich ihm oder ihr nur helfen, einen Therapieplatz zu bekommen.«

Wann ist der Zeitpunkt Hilfe anzufordern?

»Immer. Es ist so, als würden Sie mich fragen, wann ist der richtige Zeitpunkt zum Arzt zu gehen, wenn man sich nicht gut fühlt? Wenn man mit sich ringt, wenn es irgendwo drückt und belastet, empfehle ich die Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist ein Gespräch, was geschützt ist, das heißt außer mir erfährt niemand von diesem Gespräch oder, dass die Beratung in Anspruch genommen wurde. Und auch wenn es in Anführungszeichen „nur ein nettes Gespräch“ ist, bringt es einen trotzdem weiter und das ist auch viel wert! Also von daher würde ich sagen der Zeitpunkt ist immer!«

Sicherlich ist es für viele Student:innen eine Hemmschwelle, den Schritt zu wagen Hilfe zu beanspruchen und sich zu öffnen. Können Sie einen Rat geben?

»Naja, ich kann nur sagen: Psycholog:innen beißen nicht. Die Hemmschwelle ist aus einem guten Grund da und es ist auch okay, dass sie da ist. Sie ist unser Schutzmechanismus. Vielleicht ist es auch wichtig zu wissen, dass selbst wenn man den Schritt wagt und eine psychologische Beratung in Anspruch nimmt, sollte einem klar sein, dass auch da nur so viel Thema ist, wie man zulässt. Das heißt, keiner wird gedrängt oder genötigt über etwas Bestimmtes zu sprechen. Es steht jedem frei zu sagen, ich will über dies oder jenes sprechen oder ich komme mit dem Thema und ich begrenze mich darauf. Wie gesagt, ist die Beratung eine Beratung und keine Therapie. Es geht also darum, auf eine ganz klare konkrete Frage beziehungsweise ein klares Problem, eine Antwort und Lösung zu finden.«

Die Pandemie stellt nicht nur für Student:innen eine Herausforderung dar, sondern für jeden einzelnen Menschen. Was haben Sie aus dem vergangenen Jahr für Ihre Beratung mitgenommen?

»Das was ich mitgenommen habe, ist die Umstellung auf digitale Beratung. Zugegeben, am Anfang habe ich mich gefragt wie das gehen soll. Es gibt sowieso schon eine Hemmschwelle und über den Bildschirm zu kommunizieren machte sie nicht geringer. Am Anfang waren die Student:innen noch sehr zögerlich. Zu dem Zeitpunkt gab es auch so viele Gerüchte, dass Zoom nicht so sicher war. Es war also relativ anstrengend auf digitale Beratung umzusteigen. Jetzt merke ich aber, dass es kaum noch ein Problem darstellt. Für die meisten Studenten ist es eine Selbstverständlichkeit geworden und das ist das, was ich mitgenommen habe: diese Flexibilität und Offenheit für Neues.«