Zum Inhalt springen
Home
Warenkorb
Beitrag

Bleibt alles anders

Neues Design für Thesis und Absolvent:innenfeier, Sommer 2024

HS Mainz

Die Verleihung der Thesis und die Absolvent:innenfeier sind jährliche Höhepunkte, die den Abschluss eines akademischen Lebensabschnitts zelebrieren. In diesem Jahr erstrahlen diese Veranstaltungen in frischem Glanz – dank eines prägnanten Erscheinungsbilds, das mit Kreisen der Veränderung den Übergang zu etwas Neuem markiert.

Die Verleihung der Thesis wurde im Sommersemester 2024 von Prof. Nadja Mayer mit einer ebenso nachdenklichen wie Mut machenden Rede begleitet.

Prof. Anna-Lisa Schönecker

Guten Abend, liebe Absolventinnen und liebe Absolventen,

neulich schlug mir Spotify für eine Playlist einen alten Song von Herbert Grönemeyer vor. »Bleibt alles anders«, heißt er und der Titel beschreibt ein Paradoxon: Wir sehnen uns nach Veränderung und fürchten sie zugleich. Und das ist durchaus menschlich. Es ist der instinktgesteuerte Teil des Stammhirns, der seit Urzeiten gegen Neues rebelliert, um unser Überleben zu sichern. Was wir nicht kennen, könnte uns bedrohen. Darum meiden und fürchten wir es. Und bis heute ist unser Gehirn eine faule Socke, wenn es um Veränderungen geht. Dabei wissen wir seit Heraklit: Nichts ist so beständig wie der Wandel. Und dies bekommen wir im Moment so stark zu spüren wie lange nicht – ja: vielleicht wie noch nie. Das haben die Menschen vermutlich auch gesagt, als die Eisenbahn erfunden wurde, aber: diesmal stimmt’s wirklich.

Seit Sie Ihr Studium begonnen haben, ist viel passiert. Die Lage in der Welt ist nicht übersichtlicher, die Dinge sind nicht einfacher geworden. Es herrschen Kriege, die Klimaziele werden nicht eingehalten, die Deutsche Bahn kommt schon lange nicht mehr pünktlich und – was vielleicht aktuell am meisten beängstigt – die Demokratie ist überall in Europa in Gefahr. Und zu allem Überfluss kann es sein, dass der Mann, dessen Name ich nicht ausspreche, im November ein zweites Mal Präsident der Vereinigten Staaten wird. Allein mit dem Fußball scheint es ja aus deutscher Sicht – Stand heute, 17:34 Uhr – dieses Jahr ganz gut zu klappen. 

Und dann ist da noch die KI, von der auch noch nicht so richtig die Rede war, als Sie sich zum Studium eingeschrieben haben. Innerhalb kürzester Zeit haben Tools wie Chat GPT, Midjourney, Dall-E oder Sora, um nur einige zu nennen, unsere Computer erobert, uns zum Spielen und Herumprobieren verleitet, und eine ganze Branche – nämlich unsere – erst begeistert und dann in Angst und Schrecken versetzt: Wer braucht eigentlich noch Designerinnen und Designer, wenn die KI das auch alles kann? Und dann auch noch viel perfekter? Es gibt viel zu verlieren, du kannst nur gewinnen, heißt es bei Grönemeyer.

Ich habe neulich ein schönes Zitat von einer Autorin gelesen. Es lautet sinngemäß: »Wisst Ihr, was gerade schief läuft mit der KI? Falsche Richtung. Ich will, dass die KI sich um meine Wäsche und meinen Abwasch kümmert, damit ich Zeit fürs Malen und Schreiben habe. Ich will nicht, dass sich die KI um meine Bilder und mein Texte kümmert, damit ich Zeit für meine Wäsche und meinen Abwasch habe.«1 Kann man mal drüber nachdenken.

Was können wir eigentlich immer noch besser als die KI? Zum Beispiel zwischen den Zeilen lesen: Körpersprache, Tonfall, Kontext und soziale Hinweise, die auf kulturellen und erlernten Normen beruhen, zu entschlüsseln, gilt als eine der größten Herausforderungen für künstliche Intelligenz. Außerdem können wir eigene Inhalte erschaffen. Die Maschine hingegen kennt (aktuell) nur das, womit man sie vorher gefüttert hat – und erstellt daraus einen Remix. Man könnte auch – weniger cool – sagen: Die KI ist erst einmal eine große Verwurstungsmaschine. Zwar kann auch eine KI ein Gemälde wie Caspar David Friedrich erstellen oder ein Musikstück wie Bohemian Rhapsody komponieren. Aber eben nur »wie«. 

Sie kann dies nicht autonom, also ohne Zuhilfenahme von Daten und vordefinierten Parametern – also: nicht ohne uns.

Künstliche Intelligenz ist allerdings schlichtweg besser im Sammeln, Sortieren und Analysieren von Daten sowie im Lernen und Erkennen von Mustern. Sie ist grundsätzlich präziser als wir, ihr machen Routine und endlose Wiederholungen nichts aus, Prognosen etwa in der Medizin oder an der Börse sind ihre Stärke und auch das Wetter kann sie besser vorhersagen als wir Menschen das je konnten. Und dann wäre da ja noch die Sache mit der Wäsche und dem Abwasch.

Als Kommunikationsdesignerinnen und -designer haben Sie mit der KI ganz einfach wirkungsvolle neue Tools an der Hand, mit denen Sie arbeiten können. Nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht wird Ihre Aufgabe dabei mehr und mehr die eines Kurators oder einer Kuratorin sein, wie in einigen Artikeln aktuell zu lesen ist. Man wird sehen. Eines steht aber auch fest: Die Fotografie hat die Malerei nicht ersetzt. Trotz E-Books erfreuen sich Bücher aus Papier aktuell großer Beliebtheit. Und Video didn’t kill the Radio Star.

Tanz den Tanz auf dünnem Eis. Überall auf der Welt stehen gegenwärtig Demokratien unter Druck. Das muss uns alarmieren. Wir alle gestalten, wie wir miteinander leben wollen. Das ist das Wesen der Demokratie. Und im Moment scheint mir, dass die Sprachlosigkeit allgemein größer ist, als der Wunsch, sich für das, was unsere Demokratie auszeichnet, stark zu machen: Freiheit, Meinungsfreiheit, Gesetze, die für alle gleichermaßen gelten, freie Wahlen. Demokratie bedeutet wörtlich: Herrschaft des Volkes. Und das sind wir. Es kann uns nicht egal sein, dass es Menschen gibt, die diese Form des Zusammenlebens in Frage stellen oder gar unterwandern wollen. Wir alle sind aufgefordert, etwas zu tun. Für Freiheit und Respekt. Für ein besseres Miteinander inunserer Gesellschaft. Und wir – Sie und ich – können das. Denn wir sind Expertinnen und Experten für Kommunikation. Und Kommunikation ist der Anfang von allem. Geh voran ... Der erste Stein fehlt in der Mauer, der Durchbruch ist nah, heißt es im Song.

Als Kommunikationsdesignerinnen und -designer können Sie Einfluss nehmen. Sie gestalten den öffentlichen Diskurs ab sofort mit. Von der Förderung der Demokratie und des gesell-schaftlichen Engagements, der Bekämpfung von Desinformation und Fake News, dem ethischen Einsatz von KI über Nachhaltigkeitsthemen, Inklusion und Diversität: Kommunikation ist der Anfang von allem.

Das Unwort des Jahres 2023 ist übrigens »Remigration«2 – gemeint ist damit die Abschiebung oder Rückführung von Migranten und Migrantinnen. Ein Euphemismus für Vertreibung und Deportation. Im Rennen waren außerdem »Sozialklimbim« und »defensive Architektur«. Letzteres bezeichnet eine Bauweise, die verhindert, dass sich zum Beispiel

Obdachlose länger an öffentlichen Orten niederlassen können. Man sieht also deutlich, in welche Richtung das geht. Mit Toleranz und Dialogbereitschaft hat das nichts zu tun. Schon die Art wie wir kommunizieren, kann wesentlich dazu beitragen, den Druck, unter dem Demokratien gegenwärtige stehen, wieder herauszunehmen – oder aber ihn schlimmstenfalls zu vergrößern. Das Leben kommt von vorn.

Um zum Schluss noch etwas Farbe und Zuversicht in diese kleine Rede zu bringen: Pantone hat für 2024 »Peach Fuzz« als Trendfarbe ausgegeben. Ein warmer Pfirsichton, der für Liebenswürdigkeit, Zartheit, Zuwendung und Teilhabe steht. Immerhin. Wasser wird zu Wein, und die Sekunden bleiben stehn, Zauberer verraten ihre Tricks.

Genießen Sie heute erst einmal das, was Sie geschafft haben. Und dann: gestalten Sie. Das was gesagt wird, aber vor allem auch, wie es gesagt wird. Ändern Sie den Blickwinkel, machen Sie Dinge neu und anders, wagen Sie etwas. Setzen Sie sich ein – auch und vor allem für die Demokratie – für unsere Demokratie. Und tricksen Sie hin und wieder Ihr Gehirn aus, diese faule Socke. Und wenn jemand zu Ihnen sagt: »Du kannst die Welt nicht ändern«, antworten Sie: »Hey, warum nicht?«.

Ich wünsche Ihnen dabei Mut, gute Ideen und ein sicheres Gespür. Genug ist zu wenig – oder es wird so, wie es war, heißt es im Song. Auf allen Würfeln fällt die sechs, die Limits brechen weg. In diesem Sinne: Viel Erfolg und alles Gute!

1 Joanna Maciewskaja auf X, am 29. März 2024, 12:50 Uhr
2 https://www.unwortdesjahres.net/presse/aktuelle-pressemitteilung/

Prof. Nadja Mayer

Die Präsentation als Teil des neuen Erscheinungsbildes

Designteam:
Katharina Klaus
Laura Puskailer
Lena Marie Dreyer
Lilli Gabriel
Louisa Hofmann