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Kommunikationsdesign in Mainz

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Über einen intelligenten Mitbewohner

Stellen Sie sich vor, Ihr neuer Mitbewohner wäre gleichzeitig Ihr Thermostat, lässt morgens die Sonne in die Wohnung und lüftet das Badezimmer, wenn Sie nach der Dusche schon aus dem Haus müssen.

Illustration von Pilzen mit Myzel
Claudia Peschl

Leider ist es kein Mensch oder ein gut trainierter Hund, der diese Aufgaben ausfüllen könnte, schnell mal unterhalten kann man sich mit diesem Lebewesen auch nicht, denn es spricht eine kryptische Sprache, dafür ist es um ein Vielfaches größer als ein Mensch. Es ist ein Pilz.

Pilze in den Wänden oder Leben im Kühlschrank klingt nach einem Horrorszenario einer*s Mitbewohner*in. Aber genau das ist der Plan von Designer*innen und Architekt*innen wie Phil Ross.

Er selbst kommt aus New York City und spürte die Entfremdung der Stadtmenschen zur Natur und beschäftigt sich deshalb unter anderem damit, Pilze und Mikroorganismen bewusst zu nutzen anstatt sie aus unserem Lebensraum zu verbannen. Damit ist er nicht alleine, denn laut des deutschen Zukunftsinstituts beschäftigen sich auch große Konzerne wie Philips bereits mit diesem Konzept.

Intelligente Pilze

Pilze im Haushalt? Klar, gebraten, als Topping für den Salat. Doch die Vielfalt von Pilzarten ist enorm, manche sind eine Delikatesse, andere können ohne weiteres Menschen töten. Aber macht sie das schon intelligent? Und wie kann man die Intelligenz von Lebewesen bestimmen, die keinen standardisierten IQ-Test ausfüllen können? Generell wandelt sich das, was man unter Intelligenz versteht momentan rapide durch die Forschung an der Intelligenz im Pflanzen- und Pilzreich. Neue Entdeckungen in diesem Bereich beleuchten unser derzeitiges Verständnis davon von einer neuen Seite, nämlich von unten.

Der Pilzkörper, den wir an der Oberfläche sehen, ist nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs. Darunter liegt ein feines Geflecht von faserigen Zellen, das wesentlich größer werden kann als ein Mensch. Und nicht nur größer als wir sondern auch größer als jede andere bis jetzt entdeckte Spezies auf unserem Planeten. Das größte Lebewesen der Erde ist ein Pilznetzwerk in Michigan, USA, ein Hallimasch-Pilz, dessen Fasernetzwerk etwa 150.000 Quadratmeter überspannt.

Pilzfaser-Breitband

Diese Pilze können kommunizieren. Nicht mit Lauten, Zeichen oder Emojis auf WhatsApp wie wir, allerdings durchaus ähnlich. Die Netzwerke oder Mycele, die Pilze im Boden bilden, kommunizieren mit anderen Pilzen und Pflanzen über elektrische Signale und Botenstoffe. Sie handeln symbiotisch mit Nährstoffen oder führen Wasser- und Nährstoffkriege. Es werden strategisch Mineralien zurückgehalten oder Giftattacken an Pflanzenwurzeln verübt. Man kann sich das vorstellen wie ein Waldboden-Internet, eine funktionale Kommunikationsinfrastruktur mit Marketplaces bis hin zu Hackerangriffen. Mykolog*innen können das Pilzgeflecht mittlerweile sogar anzapfen und die Informationen, die der Pilz in Boden sammelt auswerten, wie einen sehr ausgeklügelten Morsecode.

Über ein Pilznetz können beispielsweise Informationen über den Mikronährstoff- und Feuchtigkeitsgehalt im Boden, die Gesundheit der Wälder und Wiesen, in denen sie vorkommen, oder auch über Schädlingsbefall abgelesen werden. Im Moment ist das noch die Aufgabe von Förster*innen, Forscher*innen könnten so aber wesentlich umfangreichere Daten sammeln und dadurch Waldbränden vorbeugen oder Schädlingsbefall frühzeitig erkennen und systematischer eindämmen.

Neo-Ökologie & Zukunftsmusik

Auch Kreative machen sich diese Erkenntnisse jetzt zu Nutze. Ob es nun Designer-Pilzmöbel wie von Phil Ross, oder lebendige Wände in der Wohnung sind, dieser Trend hin zur nachhaltigen, symbiotischen Nutzung von Pflanzen, Mikroorganismen und allem dazwischen, nennt sich Neo-Ökologie und klingt sehr nach Zukunftsmusik.

Eine kontrollierte Pilzkultur in den Wänden eines Gebäudes könnte beispielsweise den Feuchtigkeitsgrad in der Luft oder den Wänden messen und in Kombination mit bereits vorhandener Technik lüften, heizen oder die Vorhänge aufziehen und Sonnenwärme in die Wohnung lassen, um das Wohnklima optimal zu gestalten. Währenddessen schützt ein bepflanzte Fassade das Gebäude vor extremer Hitze, tauscht sich mit dem Mitbewohner*in über das Wetter aus und ist nebenbei noch optisch ansprechend. Das ist nur eine Möglichkeit von vielen, die sich eröffnen.

Auch das steigende Interesse von Konsument*innen an solchen Science-Fiction-artigen Vorstößen oder das generell stärker werdende Bewusstsein über Zusammenhänge von Klima und Umwelt geben den Tech-Konzernen Anreiz in diese Forschung zu investieren und der Neo-Ökologie weiter Momentum.

Die Natur bietet seit jeher Inspiration für technologische Neuerungen und Design. Die Forschung an diesem Thema erweitert stetig die Palette an Möglichkeiten für Innovationen in Design, Architektur und Infrastruktur.

Autorin: Claudia Peschl