Holger Reckter lehrt Medieninformatik im Fachbereich Gestaltung der Hochschule Mainz in den Studiengängen Kommunikationsdesign, Innenarchitektur und Zeitbasierte Medien.
Anfang der 90er Jahre studierte er klassische Informatik an der Technischen Universität Berlin und belegte zudem Fächer wie Philosophie, Psychologie. Der damalige Student ergänzte dies mit einer Gasthörerschaft in Visuelle Kommunikation an der Hochschule (heutigen Universität) der Künste in Berlin, bevor er ein Postgraduierten Studium an der Kunsthochschule für Medien (KHM) in Köln für Audiovisuelle Medien absolvierte.
Im Anschluß erforschte er als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der KHM die Mixed Reality, war Mitglied der „Virtual Actor“-Gruppe und tauchte danach in das Agenturleben ein. Nach seiner Professur an der Hochschule Harz in Wernigerode, wo er als Professor sieben Jahre im Bereich Medieninformatik für Interface und Mediale Schnittflächen unterrichtete, erhielt er einen Ruf nach Mainz.
An der Hochschule Mainz betreut Professor Reckter unter anderem Projekte wie Hidden Zoo, Moving Types, Interactiv Objects und die Read On Konferenz. Zum Interview treffen wir ihn im iLab am Standort Rheinstraße der Hochschule Mainz. Ein wegen vorher getesteten Installationen abgedunkelter Raum. An der Decke befinden sich Schienenvorrichtungen mit kleinen Kameras daran. Ein Erscheinungsbild, was geschulten Augen zeigt: Hier finden Vorbereitungen für technische Interaktion statt.
Wie sind Sie an die Hochschule Mainz gekommen?
Ich war vorher an der Hochschule Harz. Wenn man Interaktion oder Interface macht, gibt es zwei Bereiche. Einmal die verarbeitende Technik, die Rechner im Hintergrund und zum anderen die Gestaltung. Während die Hochschule Harz in der Medieninformatik viele Möglichkeiten bot, gab es leider keinen gestalterischen Fachbereich. Dieser ist hier in Mainz vorhanden. Wenn man ein Physical Interface schaffen möchte, landet man bei den Innenarchitekten, beim konzeptionellen Entwurf und der grafischen Darstellung bei den Kommunikationsdesignern, und die Mediendesignern fokussieren Aspekte der zeitbasierten Medien. Alles wichtig für Interaktion, deswegen hatte ich mich hier beworben.
Ihren Arbeitsbereich haben Sie schon angeschnitten, wenn Sie ihn in einem Satz beschreiben müssten, wäre es welcher?
Interaktionsdesign unter Zuhilfenahme von computerbasierten Mitteln.
Wir befinden uns hier im iLab, was ist das?
„i“ steht für Interaktion. Man muss bis zu einem gewissen Grad programmieren lernen, um Ideen testhalber umsetzen zu können. Das muss nicht perfekt sein, aber man muss eine Vorstellung haben, ob etwas funktioniert oder nicht. Manche Konzeptekönnen erst gedacht werden, weil Sie um der Mittel wissen. Entwickeln Sie ein Konzept ohne Wissen der Rahmenbedingungen die bei der Umsetzung bedeutsamer werden, hält ihr Konzept meist nicht durch und muss manchmal grundlegend geändert werden. Man benötigt für Beides ein Verständnis. Und dafür ist das iLab da: um die Möglichkeiten zu bieten etwas zu testen, zu lernen und auch, um mal daran zu scheitern, was völlig ok ist.
Bleiben wir beim Scheitern. Wie raten Sie Studierenden mit Rückschlägen umzugehen?
Scheitern ist in der deutschen Semantik immer recht negativ besetzt.. Ich finde das amerikanische Modell besser: Scheitern als Herausforderung sehen, weiter zu gehen und sich nicht davon steuern zu lassen. Es als Teil des Prozesses sehen. Es ist eine Haltungsfrage. Jeder geht anders damit um und braucht in der Situation etwas anderes. Aber man darf sich nicht davon abhalten lassen, weiter zu machen.
Woran scheitern Sie?
In dem Sinne, wenn man sich auf ein Seminar vorbereitet und denkt, es ist ein super Thema: gesellschaftlich relevant, sozial spannend, aktuell, aber es kommt nichts davon an. Das ist nicht schlimm, da kann man drüber diskutieren. Aber dann sucht man nach einer Erklärung, woran es lag.
Was war Ihre Motivation sich mit Medieninformatik zu beschäftigen?
Medieninformatik gab es als Begriff damals noch nicht, bringt aber mein technisches und logisches Interesse mit dem Gestalterischen zusammen. Und das Dritte ist die Interaktion mit dem Menschen. Ich möchte dem Menschen mit neuen ‚Artefakten‘ neue Möglichkeiten eröffnen bestimmte Ziele zu erreichen.
Haben Sie schon Vorstellungen von zukünftigen Projekten?
Zu viele. Das liegt an dem Modell Hochschule. Es kommen immer neue Leute mit anderen Ideen und Vorstellungen. Und unser Gebiet ist so flexibel, dass sich in dem Bereich die Technologie alle paar Jahre verändert. Und wenn man da nicht neugierig bleibt, wird es a) langweilig und b) bleibt man nicht aktuell. Deswegen versucht man mit der Veränderung zu gehen.
Was bezeichnen Sie als privates Talent?
Eine gewisse Gelassenheit. Ich habe gelernt, dass, wenn mich etwas ärgert, eine Nacht drüber zu schlafen und nicht gleich in die Luft zu gehen. Und das Zweite ist die Neugierde.
Haben Sie bestimmte Vorbilder/Personen die Sie beeindrucken?
Es gibt eher Charakterzüge wie Offenheit, sich auf neue Dinge einzulassen und der Versuch, ganzheitlich zu denken, die mich beeindrucken.
Was gefällt Ihnen am meisten/am wenigsten an der Designindustrie?
Mit der Gestaltung die Gesellschaft zu bewegen. Das Problem sehe ich in dem Begriff Industrie: Design darf kein Fließband sein, sondern muss individuelle Fragen und Aufgaben lösen. Die Designindustrie bietet viel Freiheit, viele Möglichkeiten, aber unterliegt auch wirtschaftlichen Zwängen.
Was gefällt ihnen an der Rhein-Main Region? Speziell an Mainz?
Der Mensch. Mainz ist nicht zu groß und man hat den Rhein vor der Haustür. Aber in erster Linie der Mensch.
Persönlicher Gegenstand:
Es ist das erste iPhone was auf den Markt kam, mein privates Telefon seit vierzehn Jahren und es hat die Welt im Bereich Bewegbarkeit, Kommunikation und Dynamik völlig verändert. Als Symbol steht es dafür, wie eine gut durchdachte Technologie zur richtigen Zeit eine unglaublich gesellschaftliche Auswirkung hat.
Über welches Thema könnten Sie eine 30-minütige Präsentation halten, ohne jede Vorbereitung?
Interaktion
Wenn Sie für den Rest Ihres Lebens nur noch ein Magazin lesen dürften, welches wäre das?
Keine Chance, das würde nicht gehen.
Design ist ...
Prozess.
Designer sind...
Menschen mit gestalterischen Kompetenzen.
Kreativität ist...
Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Studierende sind...
Erwachsen.
Kollegen sind...
auch erwachsen.
Form oder Funktion?
Wir machen aus „oder“ ein „und“.
Konzept oder Experiment?
Es gibt auch hier keinen Widerstreit. Man kann an etwas konzeptionell herangehen und braucht dann das Experiment, um es zu testen. Und umgedreht kann man experimentell an etwas herangehen und dann mehr und mehr eine Linie drin finden und diese danach konzeptionell ausarbeiten.